Es ist ja nicht so,
dass es keine Alternative gäbe. Wem die glatten Stimmen der Länderradios und
ihre Wunschkonzertmoderation zum Hals raus hängen, wem die Schlusskonferenz
keinen Kick mehr gibt, weil andauernd irgendein Schwafelprotz mit einem total
unwichtigen Tor in die möglicherweise entscheidende Spielszene reinplatzt,
wer die Plappermäuler der Dudelsender und ihr Die-Welt-ist-ein-Schönwetterbericht-Brainwashing
nicht mehr ab kann, muss nicht abschalten: das Netz weist auch hier den Weg.
90elf.de
hat sich mit Leib und Seele dem Fußball-Radioreport verschrieben, und aus
Leib und Seele wird hier berichtet, gejubelt, bekrittelt und gebrüllt. Der
Star unter den vielen jungen, unverbrauchten und talentierten Kommentatoren
ist zweifellos Günther Koch – der „alte Mann“ der Fußball-Radioreportage,
obwohl: wenn man ihm in seinem ungebremsten Elan begegnet, kann man das
„alt“ getrost streichen.
Seit gut drei
Jahren ist er nun schon bei 90elf, solo über zwei Mal 45 Minuten, und er hat,
wenn man so will, endlich SEIN Format gefunden: es ist nicht nur GK, sein
Mikro & ein Stadion, jetzt sind alle dabei – wenn sie denn wollen.
Und sie können:
mitmachen nämlich, die Netzhörer, über Facebook Fragen stellen, die Günther
Koch dann live beantwortet, „auf Facebook com slash 90elf“, und er spricht
das „Slässssch!“ aus, so als wolle er einen tiefen Graben ziehen zwischen
die weichgespülten Stimmchen und die neuen, jungen Radiowilden, zu denen er,
der Alte, im Herzen immer noch zählt.
Auf Facebook, auf
twitter, als RSS-Feed, als App – 90elf nutzt weidlich die Möglichkeiten des
Web 2.0, und waren es über 22
Millionen Hörkontakte zwischen dem ersten und letzten Spieltag in der zweiten
Saison 2010, verzeichnet man mittlerweile mehr als 1 Million Zugriffe auf die
Streams der 1. und 2. Ligareports an einem einzigen Spieltag. Ein
Erfolgsmodell, und inzwischen gibt es auf der Website nicht nur die
Live-Berichte, sondern alles, was ein Fan über die Liga wissen muss. Übrigens
auch zum Nachhören.
Sind damit die Tage
des Hörfunks gezählt, was den Fußball angeht? Es scheint so. Verlangen
nicht ohnehin die neuen Hörgewohnheiten der jüngeren Generationen, geprägt
von einer deutlichen Tendenz hin zum short attention span und weg vom
Langformat, etwas anderes? Social
media anstelle von old school radio? Interaktion statt Passivhören?
Wer sich an die zahllosen Apps auf dem Smartphone gewöhnt hat, wird kaum noch
den Sendersuchlauf bedienen wollen – davon, dass für so etwas gar keine
Zeit mehr bleibt, gar nicht zu reden.
Günther Koch
jedenfalls nutzt die Freiheiten, die ihm 90elf bietet. Fast könnte man sagen,
er ist angekommen – denn hier ist er voll in seinem Element, kommentiert vom
Reporterplatz leidenschaftlich-launig wie eh und je, hält ohne Scham nach
Belieben Stadionbesucher auf ihrem Weg zum WC vom Pinkeln ab, um ihre Meinung
live auf Sendung zu erfragen, beantwortet geduldig alle Fragen, die ihm via
Facebook gestellt werden, ohne dabei den Spielfluss aus den Augen zu
verlieren.
Wann er das Mikro
abgeben will? So schnell mit Sicherheit nicht – und da grinst er wie ein
Junger, der zum ersten Mal ein Spiel in voller Länge kommentiert und Blut
geleckt hat: „Warum soll ich aufhören, wenn’s immer noch so viel Spaß
macht?“ An diesem Samstag in der Allianz-Arena macht es ihm jedenfalls
sichtlich Spaß, beim Spiel des Noch-Bayer-und-bald-Bayern-Trainers den Ball
übers Netz laufen zu lassen.
FRAGEN AN GÜNTHER
KOCH
PASS: Ist 90elf die
Zukunft der Fußballübertragung?
Günther
Koch: Ja, unbedingt, mit diesen Live-Streams einzelner Spiele oder der
Konferenz, ist das für den Hörer ein riesiger Vorteil, einfach ein größeres
Angebot als im Vergleich zum herkömmlichen Hörfunk.
Ich glaube, dass das der Fan hören will, und nicht immer nur häppchenweise
in ein paar Minuten, wie’s steht... Für mich als Reporter ist es herrlich
– du musst nicht auf die Uhr schauen, du kannst reden, was und wie du
willst, lachen, singen, kannst alle mit einbeziehen, die um dich herum sind,
da ist keiner sicher vor mir. Das gab’s bei der ARD nicht!
PASS: Die Reporter
sind jünger – sind sie auch anders?
KOCH: Qualitativ
sind Unterschiede nicht zu spüren. Ja, es gibt viele nichtssagende, dünne
Stimmchen, die das lieber sein ließen, dafür andere junge, die großartig
sind – zum Beispiel Jochen
Stutzky und Robert Hunke bei 90elf sind jetzt schon so gut, wie ich bin –
wie ich JETZT bin! Was mir insgesamt fehlt, sind Stimmen, die glaubhaft sind,
Stimmen bei denen man merkt, dass sie für den Fußball leben, ehrliche
Stimmen...
PASS: Hättest du
gerne einen Ko-Kommentator – oder eine Mitkommentatorin?
KOCH: Das würde
ich mir grundsätzlich wünschen – jemanden als Kontrapunkt zu haben, das
ist für den Hörer noch interessanter. Eine KommentatorIN wäre sogar noch
besser – aber gerade bei einer Frau muss die Stimme absolut passen zum Fußball,
die ist schwer zu finden. Denn man muss mehr haben als nur Stimme – es
braucht Phantasie, Energie, Emotionalität...
PASS: Der Kommentar
live im deutschen Fernsehen – eher zum Weghören?
KOCH: Der deutsche
Fernsehkommentar wird immer einsilbiger und aufgesetzter und dadurch unglaubwürdiger,
vor allem, weil wir keine Doppelbesetzung haben wie in anderen Länder. Für
den Fernseh-Livekommentar braucht es zwei – der eine macht Tempo, der andere
leitet über, ergänzt, beruhigt. Wenn das gegeben wäre, hätten die Jetzigen
gar nicht die Möglichkeit so gestelzt rüberzukommen. Es gibt schon ein paar
sehr gute, gerade auch bei Sky, Marco Hagemann ist einer, aber die sind eher
unbekannt geblieben bisher.
PASS: Hat sich der
nassforsche BeckmannKernerTon durchgesetzt?
KOCH: Das
Primitiv-Kumpelhafte? Könnte sein, aber ich glaube, dass man wirklich bessere
Kommentatoren fände, wenn man nur wollte... Hansi Küpper zum Beispiel ist
brillant, aber er hat seine Chancen nicht bekommen.
PASS: Was war gut
an dieser Saison?
KOCH: Dass Dortmund allen gezeigt
hat, wie unbekümmert und frech und zauberhaft man Fußball spielen kann –
mit einer neuen Art von jugendlichem, natürlichem Trainer, der fachliche
Kompetenz besitzt und in der Gegenwart verhaftet ist, und da gibt es einige
derzeit. Ich glaube, der alte Trainer hat sich überlebt – der alte Reporter
noch nicht!
PASS: Was war
schlecht an der letzten Saison?
KOCH: Diese rücksichtslose
Offenheit der Trainerwechsel – was aber zumindest ehrlich war, da wusste
jeder, worauf er sich einlässt; und warum soll auch der Fußball besser sein
als die andere Welt, in der wir leben...? Meiner Meinung nach sollten jedoch
Wechsel von Trainern während der Saison in derselben Liga verboten sein. Auch
Spielerwechsel während der Winterpause sollte man radikal einschränken –
pro Verein zwei Spieler. Was mir auch aufgestoßen ist: die immer größere
werdende Abhängigkeit vieler Sportjournalisten von den jeweiligen Vereinen...
und vor allem diese scheinheiligen sogenannten Medien-Partnerschaften.
PASS: Interessierst du dich für Frauenfußball?
KOCH: Da hab ich
einen großen Wandel durchgemacht – früher war ich ein Gegner des Frauenfußballs,
jetzt – wo ich Spiele gesehen, Länderspiel übertragen und gegen
Frauenteams auch selbst gespielt habe, bin ich begeistert! Frauen spielen
besser teilweise und vor allem mit weniger Theater als Männer. Die WM bei uns
wird da die Akzeptanz weit voranbringen – der Frauenfußball wird aus dem
Abseits herauskommen, da bin ich mir sicher.
Foto von Stefan Erhardt
Weblinks:
www.90elf.de
http://guenther-koch.de |