Kriegsschicksale

Von Claus Melchior

 

Bevor Franz Beckenbauer seinen Verein und die deutsche Nationalmannschaft zu großen Erfolgen führte, galt der Lauterer Bub Fritz Walter unbestritten als der größte deutsche Fußballer aller Zeiten. Hätte es das Wunder von Bern und die Dominanz des 1. FC Kaiserslautern in den frühen 1950ern nicht gegeben, so hätte man vermutlich von einer unvollendeten Karriere gesprochen, schließlich hatte der Krieg Fritz Walter wichtige Karrierejahre gestohlen, auch wenn die Fußballer fast bis zum Ende des Kriegs aktiv bleiben durften, weil die Fortsetzung des Spielbetriebs der Bevölkerung einen Hauch von Normalität vorgaukeln sollte.

 

Die Kriegsjahre des Fußballspielers Fritz Walter sind eng verknüpft mit der von Reichstrainer Sepp Herberger inszenierten "Operation Heldenklau" (Mayr spricht durchgehend von "Operation Soldatenklau"), dem Bemühen, aktuelle und prospektive Nationalspieler möglichst vor Einberufung oder Fronteinsatz zu schützen. Wirklich neu ist das nicht: Fritz Walter selbst hat seine Kriegserlebnisse in einem Buch geschildert, und auch in den einschlägigen Herberger-Biografien findet sich einiges zu diesem Thema.

 

Neu ist allerdings, dass Mayr das Schicksal Fritz Walters mit dem des ebenfalls hochtalentierten August Klingler konfrontiert, der für den FV Daxlanden in Karlsruhe spielte und 1942 zu fünf Länderspieleinsätzen kam. Während über Walter tatsächlich ein Schutzengel zu walten schien – noch nach Kriegsende bewahrte ihn sein Auftritt bei einem Kick im Gefangenenlager vor der scheinbar unausweichlichen Verbringung nach Russland –, verhinderten verschiedene Umstände die geplante Versetzung in das Geschwader des Jagdfliegers Hermann Grafs, mit dem Herberger im Rahmen der Operation Heldenklau eng zusammenarbeitete. Klingler musste an die Ostfront, von der er nicht zurückkehrte. Die näheren Umstände seines Todes sind nicht bekannt.

 

Mayr spekuliert, ob die Versetzung Klinglers zu Grafs Geschwader daran scheiterte, dass Klinglers Vater, ein im Karlsruher Polizeipräsidium beschäftigter Sozialdemokrat, 1938 dem Wechsel seines Sohns vom FV Daxlanden zum wesentlich berühmteren FC Phönix Karlsruhe nicht zustimmte, obwohl ihm dafür von einem der NSDAP angehörenden Vorgesetzten die Aufhebung eines Beförderungsstopps zugesichert wurde. Ob dieser Vorgang den für Klinglers Versetzung an die Front Zuständigen tatsächlich bekannt war, lässt sich jedoch nicht verifizieren.

 

Der Vorgang ist jedoch insofern interessant, als er eine unmittelbare nationalsozialistische Einflussnahme zur Förderung eines bestimmten Vereins erkennen lässt. Auch bei Vereinen, denen die Nazis durchaus gewogen waren, Schalke 04 und München 1860 wären Beispiele, lassen sich derartige angeordnete Spielerverschiebungen, wie sie später in der DDR gang und gäbe waren, kaum erkennen. Vermutlich steht auch im Fall Klinglers keine umfassende und organisierte Strategie dahinter, sondern es handelte es sich eher um das Bemühen eines Nazi-Funktionärs, seine Machtstellung auszunutzen, um einem Verein einen Gefallen zu tun.

 

Ob Klingler selbst ein von seinem Vater geprägtes politisches Bewusstsein hatte und der Diktatur vielleicht kritisch gegenüber stand, wissen wir nicht. Auch in diesem Buch kommen die Fußballer eher als unpolitisch herüber, vom Willen beseelt, einfach nur Fußball zu spielen. Eine verständliche Haltung, denn auch damals versprach eine Karriere als Fußballspieler materielle Vorteile und ein besseres Leben. Das Desinteresse an Politik wurde vermutlich auch von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt. Wofür dann letztendlich ein hoher Preis gezahlt werden musste, nämlich der Weltkrieg.

 

Vermutlich könnte die historische Forschung zu dem Komplex 'Deutscher Fußball und der Krieg' noch einige tiefer gehende Beiträge leisten. Stefan Mayr hat mit diesem Buch einen lesbaren und interessanten Beitrag geleistet.

 

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P.S.: Auch bei diesem Buch hat im Lektorat gelegentlich die Sorgfalt gefehlt. Im oberpfälzischen Regensburg wird man sich über die Zuordnung zu Niederbayern nicht freuen (Seite 61); mehrfach wird der Begriff 'Wehrmachtzersetzung' verwendet, der korrekte Begriff für diesen damaligen Straftatbestand ist 'Wehrkraftzersetzung'; und wenn man Zitate kursiv setzt, sollte darauf geachtet werden, nicht zum Zitat gehörende überleitende Zwischentexte nicht ebenfalls kursiv zu setzen (u.a. Seite 135, unten).

 

Stefan Mayr, Unter Bombern: Fritz Walter, der Krieg und die Macht des Fußballs (München: Riva Verlag, 2020. € 19,99)

 


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